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Diktierte Option. Die Umsiedlung der Deutsch-Balten aus Estland und Lettland 1939-1941. Do
kumentation, zusammengestellt und eingeleitet von Dietrich. A. Loeber. Sonderforschungsbereich
„Skandinavien- und Ostseeforschung“ an der Universität Kiel. Karl Wachholtz Verlag Neumün
ster. 1972. 798 Seiten, broschiert. 96,- DM
Der erste große Exodus des baltischen Deutschtums gelangte 1918/19 zumeist über Pommern in
das Deutsche Reich über Swinemünde und Stettin Viele Balten blieben damals in Pommern, in
Misdroy schufen sie sich mit der „Baltenschule“ ein Zentrum der Stammeskultur. Die zweite Welle
aber, die praktisch das Ende des Deutschtums in den baltischen Landen bedeutete, berührte Pommern
nur am Rande. Die Umsiedlungen von 1939, 1940 und 1941 - von einer „Heimkehr ins
Reich“ zu reden, wie es damals in der Sprachregelung der Hitler-Zeit üblich war, ist einiger
maßen absurd, waren doch die ältesten deutschen Geschlechter des Baltikums über 700 Jahre im
Lande ansässig gewesen - nahmen ihren Weg meist über Danzig und das damalige Gotenhafen
in den sog. Reichsgau Wartheland Nur ein kleiner Nebenarm dieses Stromes gelangte für kurze
Zeit nach Pommern, meist in die Stettiner Gegend.
Der Auszug der Deutschen war ein Teil der großen Umsiedlungsaktionen des Deutschtums aus
Osteuropa die von Staat und Partei im NS-Deutschland planmäßig organisiert wurden, nachdem
das Deutsche Reich und die Sowjetunion 1939 mit dem Hitler-Stalin-Pakt ihre Interessensphären
abgegrenzt hatten und die Baltischen Staaten, wie auch Finnland der sowjetischen Einflußzone
zugeschlagen worden waren.
Die deutschbaltische Umsiedlung war, wie die meisten anderen Umsiedlungen aus Osteuropa
unter diesem Aspekt eine Rettungsmaßnahme, sie war aber auch eine Aktion im Interesse von
Hitlers Machtpolitik, solle sie doch der Besiedlung und Germanisierung der eroberten polnischen
Gebiete dienen. Es mischten sich in ihr also verschiedene Elemente, je nachdem, ob man sie vom
Standpunkte der Umgesiedelten selbst oder von dem des nationalsozialistischen Imperialismus
aus sah.
Der Kieler Völkerrechtler Prof. Dr. Dietrich A Loeber gibt seiner umfangreichen Dokumentation
zu diesem Thema den eindeutigen Titel „Diktierte Option“, womit er aber, wie gesagt, nur einem
der Aspekte der Umsiedlung gerecht wird, der vom Machtdenken bestimmten, nach Osten gerich
teten Expansionspolitik des Hitler-Staates. Die Umgesiedelten selbst haben das in ihrer großen
Mehrheit nicht so empfunden: für sie gab es einfach keine Alternative. Ein Verbleiben in der
Heimat hätte für viele, wahrscheinlich sogar für die Mehrheit von ihnen, den sicheren Tod oder
die Verbannung in den Osten des sowjetischen Riesenreiches bedeutet. So ist denn auch die Arbeit
von Loeber vor allem wohl wegen ihres herausfordernden Titels in deutschbaltischen Kreisen z. T.
heftig angegriffen worden. Mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß die Umsiedlung von der
überwiegenden Mehrheit der Deutsch-Balten als eine Rettung, nicht als ein Diktat empfunden
wurde.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß ein großer Teil der Umgesiedelten, soweit sie in die
eroberten Gebiete Westpreußens Posens usw. kamen, nach kurzer Zeit von der Wirklichkeit in
dem neuen Siedlungsgebiet enttäuscht, ja abgestoßen wurden und dann, zu spät, erkannten, daß
sie lediglich ein Werkzeug der rigorosen Germanisierung des polnischen Landes wurden.
Im Grunde kommt dies auch in der Einleitung Loebers zu seiner Dokumenten-Publikation und in
den Dokumenten selbst zum Ausdruck, und so ist es müßig, lange über den Titel des Buches und
einzelne Passagen der Einleitung zu debattieren: der Wert der Publikation liegt vor allem in der
Fülle der von Loeber in 15jähriger mühevoller Arbeit zusammengetragenen Materialien, von
denen der überwiegende Teil bisher noch nicht veröffentlicht war.
Loeber meint mit Recht, daß es für die Darstellung der zu Beginn des 2. Weltkrieges organisier
ten Umsiedlungen des osteuropäischen Deutschtums gerade am Beispiel Lettlands und Estlands
gute Gründe gäbe. „Diese Umsiedlung bildete den Auftakt zu der vom Dritten Reich vorgesehe
nen ethnographischen Neuordnung Europas ... Die Aussiedlung aus dem Baltikum besaß somit
in mancher Hinsicht einen Modellcharakter.“
Ausgesiedelt wurden in mehreren Schüben von 1939 bis 1941 insgesamt etwa 84 000 Deutsch-
Balten, zu denen noch Deutsche aus Litauen hinzuzuzählen wären. Die pommerschen Bezüge sind
wie gesagt, spärlich. Die großen Einwanderungszentralen waren in Gotenhafen und Posen, Ne
benstellen waren in Swinemünde und Stettin eingerichtet.
Als Ergänzung der Loeberschen Arbeit kann ein kleines Büchlein von Jürgen E. Kroeger ange
sehen werden (Jürgen E. Kroeger. Eine baltische Illusion. Tagebuch eines Deutsch-Balten aus den
Jahren 1939-1944, Verlag Nordland-Druck Lüneburg o. J. 1973? broschiert, 96 Seiten.) Hier wird
aus der Sicht eines der Umgesiedelten, des Landwirts Kroeger, mit großer Ehrlichkeit geschildert,
wie aus der anfänglichen Zustimmung und Dankbarkeit im Alltag des Lebens in der „neuen Hei
mat“ im Warthegau Enttäuschung, Erbitterung und Zorn erwachsen. Kroeger gehörte zu den re-
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